„Deep“ sei der Schaumwein und „komplex“, erklärt der Kellner ironiefrei. Ich denke an das Pils um 2,80, das ich soeben in der Schultheiss-Kneipe ums Eck getrunken habe. Der deepe Sprudel mit Kellergeschmack wird 16 Euro pro bodenbedecktem Glas kosten – und trotzdem auf der Rechnung untergehen. Als der erste Gang serviert wird, begleitet von komplizierten Erläuterungen, denke ich an das Halloumi-Sandwich, das ich vor dem Pils in einem Straßenimbiss gegessen habe.
Wir sitzen in einem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Lokal und wussten, dass wir nicht hungrig kommen sollten. Denn hier gibt es weder ausgiebige Vor- noch üppige Hauptspeisen. Es beginnt und endet mit Nachtisch in dem schummrig beleuchteten Dessert-Dining-Restaurant im durchgentrifizierten nördlichen Neukölln. Schultheiss-Kneipen sind hier bereits exotisch, obwohl sie bis vor kurzem das Straßenbild geprägt haben.
Die Mascarponegrapefruit mit Wirsing und Thymian sieht aus wie die Reste eines Frühstücksmüslis. Danach Buttercreme mit Zwetschge, Walnuss und Dulse Alge – letztere heißt ihres Geschmacks wegen auch Speckalge. Anschließend gegrillte Apfelscheibe mit Schalotte und anderen unzusammenhängenden Zutaten, Geschmack: Apfel am Würstlgrill gebraten – also wieder speckig. Das Kakaodessert mit Karotte am Ende mundete beinahe konventionell. Aber da taten auch die zu jedem Gang servierten und angeblich auf diesen abgestimmten Wein-Schnaps-Mischungen (etwa Moscatel/Schlehenbrand/Meerettichgeist) bereits ihre Wirkung.
Die meisten Gäste sind zu zweit oder zu viert und gönnen sich mal was. Doch am Tresen sitzen auch Einzelpersonen, kosten ein bisschen und lassen den Rest der ziemlich teuren Happen abräumen. Auch zwei Hunde sind anwesend. Der Chef persönlich bringt für diese kleine Hocker, auf denen sie sitzen und ihre Blicke durchs Lokal schweifen lassen. Was hier passiert, verstehen sie so wenig wie ich.
(Berlin/sl)